(Wer den Film nicht kennt, auf Wikipedia gibt es eine ausführliche Zusammenfassung).
Vielleicht bin ich für solche Filme einfach nicht der Typ, denn die meiste Zeit habe ich mich fragt, warum Amélie so rumeiert. Wieso sie sich nicht mit Nino trifft, ein Sammler weggeworfener Automatenfotos, in den sie sich verliebt hat und der offenkundig auch an ihr interessiert ist. Zahlreiche Versuche hat sie schon unternommen und Nino auf verschlungenen Wegen Nachrichten zukommen lassen. Im letzten Moment verließ sie jedoch der Mut.
Gegen Ende des Films kam mir die Idee, dass es im Business ja ähnlich läuft. Auch dort machen wir uns das Leben unnötig schwer, eiern rum, verschieben aus "Angst" Dinge, etwa Telefonate, auf irgendwann.
Wie oft habe ich etwa schon gehört: „Ich kann grad keine Akquise machen, ich muss erst meine Webseite aktualisieren. Oder zuerst ein Whitepaper schreiben, bevor ich mich bei meinen Kontakten melde. Oder ich brauche erst noch Referenzen, bevor ich ...“
Dagegen ist nichts einzuwenden, aber braucht es das wirklich? Sind Referenzen, Webseite, Whitepaper nicht allzu oft ein Vorwand? Ein fabelhafter Grund, sich nicht aktiv um neue Kunden zu kümmern?
Außerdem kosten eine neue Webseite oder ein Whitepaper Zeit, die man gerade nicht hat. Und so verschieben sich Vertriebsaktivitäten von Woche zu Woche, auf irgendwann.
Willkommen in der komplizierten Welt der Amélie
Im Film müsste Amélie „nur“ den Mut aufbringen, sich mit Nino tatsächlich auch zu treffen. Eigentlich ganz einfach.
Nicht für Amélie, sie besorgt sich beispielsweise eine Verkleidung, macht ein Foto am Automat und schickt es Nino. Als er bei ihr im Cafe sitzt und sie darauf anspricht, streitet sie es ab. Sie schickt dann eine Kollegin vor, damit sie Nino einen Zettel mit Ort und Uhrzeit für ein neues Treffen zusteckt??!! Willkommen in der komplizierten Welt der Amélie.
Auch da gibt es eine gute Parallele in der Geschäftswelt: Konferenzen und Events, auf denen jemand ist, mit dem man gerne sprechen möchte. Viele schleichen um die Person herum, hoffen, dass derjenige sie vielleicht anspricht und ärgern sich hinterher, wenn er es nicht tut. Manche versuchen dann über Umwege, zum Beispiel per E-Mail oder Xing, im Nachhinein doch noch Kontakt aufzunehmen. Es hätte einfacher gehen können.
„Das Recht auf ein gescheitertes Leben ist unantastbar!“
Schüchtern oder nicht, vielleicht muss man auch mal über seinen eigenen Schatten springen. Das sieht auch Raymond, der Maler aus dem Nachbarhaus, so:
Raymond: „Ich glaube für sie ist langsam die Zeit gekommen, ein richtiges Risiko einzugehen.“Bemerkenswert ist die Szene danach: Amélie sieht einen russischen Film, in der ihr folgende Untertitel erscheinen:
Amélie: „Sie denkt ja darüber nach. Sie ist dabei, sich eine Strategie zu überlegen.“
Raymond: „Ja, die liebt sie, ich weiß. Strategien liebt sie.“
Amélie: „Ja.“
Raymond: „Ich finde sie ein bisschen feige.“
„Der Einmischungsversuch von Raymond Dufayel ist inakzeptabel. Wenn Amélie lieber in ihrer Traumwelt leben und eine introvertierte junge Frau bleiben will, dann ist das ihr Recht. Denn das Recht auf ein gescheitertes Leben ist unantastbar!“Der letzte Satz hat mich ein wenig mit diesem Film versöhnt.
Denn es stimmt natürlich: Jeder kann sich sein Leben unnötig verkomplizieren. Dagegen spricht überhaupt nichts. Aber wie fabelhaft wäre es, wenn wir uns nicht ständig selbst im Weg stehen? In privaten wie auch in geschäftlichen Dingen?